Growth Mindset – Was es wirklich ist (und was nicht)

Growth Mindset – Was es wirklich ist (und was nicht)

von Anne Anne Sander
24. März 2025

“Du musst einfach nur mehr an dich glauben.”

“Mit genug Willenskraft kannst du alles erreichen.”

“Wenn du dich nur genug anstrengst, wirst du erfolgreich.”

Solche Aussagen begegnen uns häufig in Artikeln, Coaching-Formaten oder motivierenden LinkedIn-Posts rund ums sogenannte Growth Mindset. Sie sind gut gemeint – aber oft schlichtweg falsch. Oder zumindest irreführend.

In diesem Artikel schauen wir genauer hin: Was ist das Growth Mindset wirklich? Was sagt die Forschung – insbesondere von Dr. Carol Dweck und Dr. David Yeager? Und wie lässt sich ein Growth Mindset wirksam fördern – ohne in psychologischen Pseudo-Optimismus oder reine Leistungsromantik zu verfallen?

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Was ist das Growth Mindset – wirklich?

Der Begriff Growth Mindset geht zurück auf die Arbeiten von Dr. Carol Dweck. Ihre grundlegende Definition:

"Ein Growth Mindset ist die Überzeugung, dass Fähigkeiten und Intelligenz nicht fix, sondern veränderbar sind."

Mit anderen Worten: Menschen mit einem Growth Mindset glauben, dass sie durch Lernen, Anstrengung, Feedback und gezielte Strategien besser werden können – egal, wo sie starten. Dr. David Yeager, einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet und enger Kollege von Dweck, bringt es im Gespräch mit Dr. Andrew Huberman noch klarer auf den Punkt:

"Es ist nicht der Glaube, dass du alles schaffen kannst, wenn du dich nur genug anstrengst. Es ist der Glaube, dass Veränderung unter den richtigen Bedingungen möglich ist."

Dieser feine, aber entscheidende Unterschied grenzt das Growth Mindset klar von einem toxischen „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“-Narrativ ab. Denn: Nicht alles liegt in unserer Kontrolle. Aber mehr, als wir oft denken – vor allem, wenn wir die richtigen Bedingungen schaffen.

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Die wissenschaftliche Basis: Was zeigt die Forschung?

Yeager und Dweck haben über Jahre hinweg an groß angelegten Feldstudien gearbeitet. Eine ihrer bekanntesten Veröffentlichungen erschien 2019 in Nature. In dieser Studie erhielten über 12.000 Neuntklässler:innen in den USA eine kurze Online-Intervention: Zwei Sitzungen à 25 Minuten, in denen sie lernten, dass das Gehirn wie ein Muskel wachsen kann, wenn es gefordert wird.

Das Ergebnis?

Die Intervention hatte messbare Effekte – noch Monate später. Die Schüler:innen hatten bessere Noten, wählten herausforderndere Kurse (z. B. fortgeschrittene Mathematik) und blieben länger engagiert. 

Diese Effekte sind nicht nur statistisch signifikant, sondern auch praktisch relevant – denn sie zeigen:

Eine veränderte Haltung gegenüber Lernen und Herausforderungen kann konkrete Bildungs- und Lebensentscheidungen beeinflussen.

    Wichtig: Die Wirkung trat nicht durch reine Motivation oder „mehr Anstrengung“ ein, sondern durch eine veränderte Bedeutung, die die Jugendlichen Herausforderungen und Fehlern beimaßen.


    Was das Growth Mindset nicht ist

    Damit ein Growth Mindset wirkt, muss es richtig verstanden und vermittelt werden. Laut Yeager sind die häufigsten Missverständnisse:

    1. “Du kannst alles schaffen, wenn du dich nur genug anstrengst.”
    Falsch. Es geht nicht um blinden Ehrgeiz, sondern um gezielte Entwicklung unter guten Rahmenbedingungen.

    2. “Fehler sind nicht schlimm – alles ist super!”
    Nein. Fehler sind oft schmerzhaft. Aber sie sind auch Chancen. Entscheidend ist, wie wir sie deuten.

    3. “Growth Mindset heißt, nie aufzugeben.”
    Auch falsch. Manchmal ist es klug, einen Weg loszulassen. Growth Mindset bedeutet nicht Sturheit, sondern Lernorientierung.

    4. “Man muss Kindern (oder Mitarbeiter:innen) nur sagen, dass sie es schaffen können.”
    Nicht ausreichend. Es geht nicht um positives Denken, sondern um ein strukturiertes Lernen aus Herausforderungen.


    Der unterschätzte Schlüssel: Wie wir über Anstrengung denken

    Ein besonders interessanter Punkt ist das Thema Effort Beliefs – also unser Glaube darüber, was Anstrengung bedeutet.

    In einem Fixed Mindset lautet die innere Logik oft: “Wenn ich mich anstrengen muss, heißt das, ich bin nicht gut genug.” Das führt zu Scham, Rückzug und innerem Druck, perfekt wirken zu wollen.

    Im Growth Mindset hingegen lautet die Perspektive: “Wenn es schwer ist, bedeutet das, dass ich wachse.” Anstrengung wird hier nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als Investition in Wachstum verstanden. Das ist mehr als eine mentale Spielerei – es hat direkte Auswirkungen auf Verhalten, Motivation und langfristige Entwicklung.


    Growth + Stress: Die neue Generation der Mindset-Forschung

    Ein besonders spannender Aspekt der aktuellen Forschung ist die Kombination von Growth Mindset mit dem sogenannten „Stress-is-enhancing Mindset“.

    Die Idee: Stress (z. B. bei Prüfungen, Präsentationen, Konflikten) muss nicht nur ein Problem sein. Wenn wir ihn als Zeichen für Bedeutung und Aktivierung interpretieren, kann er sogar unsere Leistung verbessern.

    Statt: „Ich bin nervös – ich werde scheitern!“ könnte die Interpretation lauten: „Mein Körper bereitet sich auf eine wichtige Aufgabe vor. Das ist gut.“

    Dieses Reframing verändert messbar unsere physiologischen Stressreaktionen – Herzfrequenz, Cortisolspiegel und sogar unsere Fähigkeit zur Selbstregulation.

    Kurz: Ein Growth Mindset verändert nicht nur unser Denken – sondern auch unseren Körper.


    Praxis: Wie kann man ein Growth Mindset fördern?

    Dr. Yeager nennt drei zentrale Elemente für wirksame Mindset-Interventionen:

    1. Wissenschaftliche Information
    Beispiel: Das Gehirn verändert sich durch Lernen (Neuroplastizität).
    Metapher: Das Gehirn ist wie ein Muskel, der durch Herausforderung wächst.

    2. Narrative Vorbilder (Social Norms)
    Geschichten von Menschen, die Herausforderungen überwunden haben – z. B. ältere Schüler:innen, Kolleg:innen, Sportler:innen.

    3. Eigene Reflexion (Saying-is-believing)
    Menschen schreiben über eigene Erfahrungen mit Misserfolg und Wachstum. 
    Wer anderen erklärt, dass Veränderung möglich ist, beginnt auch selbst stärker daran zu glauben.

    Diese Bausteine funktionieren nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen – in Coachings, Führungskräfteentwicklung und Change-Prozessen.

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    Was bedeutet das für Change, Lernen und Führung?

    Ein echtes Growth Mindset zu kultivieren heißt:

    • Fehler nicht beschönigen – sondern zum Lernen nutzen.
    • Anstrengung nicht glorifizieren – sondern entdramatisieren.
    • Herausforderungen nicht vermeiden – sondern sinnvoll gestalten.
    • Stress nicht bekämpfen – sondern klug interpretieren.

    Für Teams und Organisationen bedeutet das:

    Eine wachstumsorientierte Kultur entsteht nicht durch Motivationsposter – sondern durch klare Erwartungen, echte Unterstützung und Raum für Entwicklung.

    Oder wie Yeager es beschreibt:

    „Es ist nicht die Magie der Worte, sondern das Gefühl von Würde und Entwicklung, das zählt.“
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    Fazit

    Das Growth Mindset ist kein Motivations-Mantra – es ist ein wissenschaftlich fundiertes Modell für Lernen, Entwicklung und nachhaltige Leistung. Es verlangt uns viel ab: differenziertes Denken, emotionale Selbstregulation, eine neue Sicht auf Stress und Fehler. Aber es gibt uns auch viel zurück: Mut. Sinn. Wirksamkeit.

    Vielleicht ist das der eigentliche Kern: „Du kannst lernen, besser zu werden.“ Und das ist oft schon alles, was es braucht, um in Bewegung zu kommen.

    Wenn du mehr zu Carol Dweck's Forschung erfahren möchtest, bietet dir dieser Artikel einen tollen Überblick: LINK


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